Folgerungen für die Praxis
Es gibt keine allgemein gültigen Normen und Zielstellungen noch eine übergreifende Theorie zur Erziehung und Förderung von Kindern mit ASS.
Vielmehr geht es darum, den Betroffenen als Akteur bzw. Konstrukteur ihrer Entwicklung Angebote zu unterbreiten, Hinweise und Hilfen zu vermitteln, entwicklungsanregende Situationen zu arrangieren,
dass das eigene Leben organisiert und gangbare (viable) Erlebnis- und Handlungsmöglichkeiten aufgebaut werden können.
Hierfür sind folgende Faktoren notwendig:
- Verstehen und Unterstellen von Motiven
- Erfahrungs- und Bedürfnisbezogenheit
- Vom Vertrauten zum Neuen sowie
- Dialogisches Vorgehen.
2.1. Unterstellen von Handlungs- und Beweggründen
All das, was ein Mensch tut, ist das Ergebnis einer persönlichen, viablen Konstruktion von Wirklichkeit und macht es erforderlich, dass diese Konstruktionen als subjektiv angemessene Antwort auf eine
wahrgenommene Lebenssituation akzeptiert werden.
Es gilt also, das Verhalten anderer zu verstehen und zu unterstellen, dass es für einen jeweiligen Menschen im Hinblick auf seine bisherigen Lebenserfahrungen sinnvoll war, sich so zu
verhalten, dass es dafür Beweg-Gründe gibt.
Deshalb müssen die internen Konstruktionen von Bedeutung und Motivation anderer Menschen zur Grundlage pädagogischer Überlegungen gemacht werden.
2.2. Erfahrungs- und Bedürfnisbezogenheit
Wird der Sinn/die Bedeutung von etwas zu Lernendem vom Lernenden selbst konstruiert, müssen sich auch alle Entwicklungs- und Handlungsimpulse an diesen internalen Zuweisungen orientieren.
Denn man kann nur das lernen, was mit den eigenen Bedeutsamkeiten in Zusammenhang steht.
Pädagogisch bedeutet dies, dass es herauszufinden gilt, wie neue Gegenstände bzw. Inhalte am besten an Wiederholungsandlungen assimiliert werden können bzw. wie sich durch leichte Veränderung der
Bewegungshandlungen Akkomodationen erreichen lassen.
Der Pädagoge muss hierfür angebotene Reize in ihrem Neuigkeitsgehalt so dosiert und strukturiert einführen, dass das Kind darin auch Aspekte von Vertrautem wiederfindet und Aspekte von Neuem durch
sein aktuelles Handeln mit der Zeit in Vertrautes umwandeln kann.
Dem Kind erschließen sich also neue Umgangsformen mit der Realität, wenn es darin etwas Vertrautes wiederfindet und auf dieser Grundlage Neues aufzubauen lernt.
Deshalb sind Aufgabenstellungen Anregungen und Materialien, die zu oder völlig fremd sind, die kaum in Bezug zu den Erfahrungen des Kindes stehen, ungeeignet.
2.3. Vom Vertrauten zum Neuen
In der Praxis bieten sich günstige Möglichkeiten im Aufgreifen von stereotypen Verhaltensmustern an:
- Einem Kind, das ständig mit den Fingern auf den Tisch oder andere Unterlagen durch Klopfen Geräusche erzeugt, werden neue Materialien zu Klopfen angeboten wie z.B. eine Trommel. Später wird beim Trommeln als Ersatz für die Hand ein Schlegel angeboten. Als weitere Ausweitung des Schlagens können dann die Techniken des Hämmerns angeboten werden wie z.B. im Rahmen der Herstellung eines Nagelbildes.
- Stereotypes Schaukeln in Schrittstellung wird über musikalisch-rhythmische Angebote so erweitert, dass das Kind Gelegenheit erhält, auch seitwärts zu schaukeln gemeinsam mit dem Pädagogen zu schaukeln. Mit der Zeit wird versucht, es auch in Sing- und Kreisspiele der Gruppe einzubeziehen. Andere Möglichkeiten sind Schaukeln in verschiedenen Materialien (Schaukelstuhl etc.) sowie Schaukeln nach verschiedenen Rhythmen und Melodien.
- Gleichförmiges Sammeln und Einordnen von Materialien wird über ein gemeinsames Tun, Spiegelung des Verhaltens und Anbieten von Alternativen erweitert: Gegenstände in Kisten nach dem Spielen einräumen, neue Materialien räumen/einräumen, damit verschiedene Muster legen etc.
2.3.1. Dialogisches Vorgehen oder der kreative Zirkel von Vorschlag und Gegenvorschlag
Nachdem Kindern mit ASS ein nicht-triviales Menschenbild und eine Abkehr von einer an Reize gebundene Arbeitsweise von Stärken und Kompetenzen gemein ist, stellt sich die Frage, wie dieser
zwischenmenschliche Prozess methodisch gestaltet werden kann.
Nach Comparetti (italienischer Arzt und Pädagoge) bietet sich eine "vorschlagende Dimension" an:
- In einer offenen Spirale wird das Tun des Kindes (im Sinne von Fähigkeiten und Kompetenzen) aufgegriffen und der Erwachsene reagiert darauf, als Handlungsvorschlag“.
- Aus all dem entwickelt sich ein wechselseitiger, dialogischer Prozess zwischenmenschlichen Handelns.“
Unsere Aufmerksamkeit ist also nicht so sehr auf das Studium der Antworten als auf das Studium der Vorschläge zu lenken, und das bedeutet, die reizgebende Arbeitsweise zu verlassen.
Reize gibt man Versuchstieren, aber nicht Kindern.
Reiz und Antwort erschöpfen sich gegenseitig und schließen einen Kreis, der zweidimensional bleibt und die dritte Dimension der Entwicklung und des Schöpferischen ausschließt.