Leitfaden für den Umgang mit autistischen Schüler

Nicht alle autistische Menschen sind gleich. Sie unterscheiden sich sehr in ihren individuellen Fähigkeiten, auch wenn sie bestimmte Gemeinsamkeiten teilen. Das sind v.a. solche, die durch die medizinischen Diagnosekriterien bedingt sind (mangelnde zentrale Kohärenz, Wahrnehmungsstörungen, Filterschwäche etc.).

Was Sie beim Umgang mit autistischen Kindern bedenken sollten:

Lernen bedeutet normalerweise, dass jemand auf eine ihm gestellt Aufgabe reagiert. Seine Reaktion ist entweder richtig oder falsch. Wird ihm signalisiert, dass seine Reaktion den Erwartungen entspricht, speichert er das Ergebnis. Wird das Gespeicherte Abgefragt, kann er das Ergebnis reproduzieren.


So funktioniert das bei einem autistischen Schüler nicht. In der Regel bleibt die sichtbare oder hörbare Reaktion aus. Das Gegenüber denkt dann, der Lernerfolg sei ausgeblieben. Der Lehrer wiederholt unter Umständen die Aufgabe viele Male oder aber er bewertet das Schweigen des Schülers mit Nichtwissen. Das führt beim Schüler zu absoluter Frustration. Er langweilt sich, weil keine neuen Aufgaben gestellt werden. Vor allem aber versteht er nicht, weshalb er trotz gutem Fachwissen schlechte Beurteilungen erhält.


Ausgehend von dieser Tatsache sollte man sich nicht irritieren lassen und Lernangebote machen, auch wenn man nicht absolut sicher sein kann, dass sie ankommen. 


Der Schüler sollte regelmäßig in der Klasse aufgerufen werden, auch auf die Gefahr hin, dass er die Antwort nicht weiß. Zudem ist eine direkte (optimal innerhalb 1-5 Sekunden) Rückmeldung darüber sinnvoll, was nicht in Ordnung an der Antwort war bzw. was an der Antwort besonders gut war.


Nur wenn das, was gelernt werden soll, regelmäßig abgefragt wird, wird aus dem chaotischen Wissen des Schülers ein geordnetes Wissen.


Auch ... gehört zu den Schülern, die erstaunlich viel Wissen in sich tragen (zumindest in manchen Fächern wie Englisch, ...). In der Therapie bei mir muss ... nicht viel Neues vermittelt werden, aber er muss darin unterstützt werden, Ordnung in seine Gedanken zu bekommen. So kann er lernen die ungeordneten Wissensfetzen und Eindrücke in eine Ordnung zu bringen. Dieser Prozess kann von Seiten der Lehrer über das regelmäßige und beständige Abfragen sowie direkte Rückmeldungen  des Lehrers weiter unterstützt werden.

Wichtig beim Umgang mit autistischen Schülern ist die Berücksichtigung folgender Faktoren:

  • Es ist nicht gerade motivierend, wenn man für etwas getadelt wird, das man aus eigener Kraft nicht ändern kann. Es sollte geprüft werden, inwieweit bestimmte Aufgabestellungen für Lukas verständlicher gestaltet werden könnten.
  • Es ist zu berücksichtigen, dass ... viele Redewendungen nicht versteht.
  • ... ist oft nicht in der Lage, das Gesehene sinnvoll zu verarbeiten. Dies liegt vor allem an der bei autistischen Menschen vorliegenden Filterschwäche:
  • Auf Bildern fehlt für ihn die Ordnung. Eine große Schwierigkeit die ... bei der Betrachtung von Bildern haben könnte, ist die, dass es keine Reihenfolge für ihn hat. Er sieht lediglich viele Sachen, die irgendwie verteilt sind und von denen manche unwichtig sind, andere dagegen sehr wichtig. Was für Lukas wichtig ist, entspricht nicht unbedingt dem, was für die jeweilige Aufgabenstellung tatsächlich wichtig sein mag.
  • Durch die Filterschwäche, fällt es ... schwer, Relevantes von Irrelevantem auch in Texten zu trennen. Für ihn entsteht folglich ein gedankliches Chaos, das alle Elemente gleich stark bewertet. Er kann sich aber andererseits auf nur einen Gegenstand zu einer Zeit konzentrieren. Im Zentrum seiner Aufmerksamkeit kann bei ihm ein zufällig gewähltes Objekt sein, das aus irgendeinem Grund sein Interesse geweckt hat. ... blendet dann alles weitere aus und bleibt an seinem Zielobjekt hängen. Er verfolgt nicht mehr das Wesentliche, den Text, das Bild etc.. Deshalb schreibt er bei Interpretationen bzw. Bildbeschreibungen meist nur drei oder vier Sätze.
  • Er kann einzelne Wahrnehmungen nicht zu einem Ganzen zusammenfügen. Erschwert wird dies noch bei abstrakten Themen wie Literaturtexte, Bilder mit  Symbolcharakter. Es fehlt an zentraler Kohärenz:
  • Deshalb kann er nicht nachvollziehen, weshalb er den Praktikumsbericht ordentlich abgeben soll, obwohl sein Praktikum schon letztes Jahr stattgefunden hatte.
  • Außerdem ist ihm nicht klar, weshalb er seine Epochenhefte gewissenhaft führen soll und bestenfalls gar die Themen verstanden haben soll. Denn die Themen sind ja nach drei Wochen abgehandelt und die Hefte abgegeben Dies ist für ihn gleichbedeutend damit, dass es für seine zukünftige Schullaufbahn keine Rolle mehr spielen wird. Dass ein Zusammenhang mit einer Beurteilung im Zeugnis bzw. gar mit der Abschlussprüfung bestehen könnte, ist ihm nicht klar. Ebenso ist ihm nicht verständlich, weshalb die Eltern etwas mit der Schule zu tun haben sollten. Dazu gehören ja schließlich die Lehrer und er als Schüler. Dass ich da als Lernbegleitung mit eingebunden bin, ist ihm schon klarer, weil ich ja genau dafür von der Stadt bezahlt werde.
  • An der nicht vorhandenen zentralen Kohärenz liegt es auch, dass ... Probleme hat, komplexere Situationen und Zusammenhänge (z.B. in Geschichten) zu erfassen.


Vor Overload schützt ... sich manchmal durch kurzes Einnicken im Unterricht. Er braucht in intensiven Wahrnehmungsphasen immer wieder kurze Pausen zur Verarbeitung und zur Erholung. Er kann immer nur ein gewisses Quantum an Informationen am Stück wahrnehmen, dann ist sein innerer Speicher erst mal voll und sein Akku leer.


Bei ... ist aufgrund seiner Filterschwäche jede Wahrnehmung intensiver, und entsprechend schnell brauchen seine Nerven nach Zeiten der extremen Stimulierung Phasen der Regeneration. Bleibt diese im langen Schulalltag aus, kommt es zu einer Überlastung seines Nervensystems. Irgendwann wehrt sich dann sein Körper dagegen, was zu Erschöpfung führt.


... hat außerdem Schwierigkeiten, Informationen aus verschiedenen Sinneskanälen gleichzeitig auszuwerten. So kann er nicht gleichzeitig zuhören und mitlesen; schreibt der Lehrer etwas an die Tafel und erklärt gleichzeitig, oder diktiert er und Luks soll während des Diktates mitschreiben, scheitert ... .


Auf die Idee den Lehrer um Hilfe zu bitten, kommt ... so gut wie nie. Er ist davon überzeugt, dass er immerzu alleine seine Probleme lösen kann. Daher wäre es sinnvoll, ... öfter zu fragen, ob er gerade Hilfe benötigt.

Auch begabte autistische Menschen können immense Schwächen in Teilbereichen aufweisen. Hierzu gehören:

  • Gelerntes nicht auf ähnliche Situationen übertragen können,
  • Vergesslichkeit und leichte Ablenkbarkeit,
  • Wörtliches Verstehen von Sprache,
  • Unvermögen, die Wirkung des eigenen Verhaltens auf andere einzuschätzen,
  • Unfähigkeit, sich in die Gefühlswelt anderer hinein zu versetzen,
  • Sensorische Überempfindlichkeit,
  • Schwierigkeiten mit der zeitlichen und räumlichen Orientierung.
  • Die mündliche Mitarbeit ist bei autistischen Schülern ein großes Problem. Viele schweigen sich beharrlich durch die Schulstunden. So auch ... .

Zum einen braucht er oft mehr Zeit, bis er die Frage beantworten kann. Er nimmt verbale Informationen langsamer auf als viele andere Schüler; auch dauert es länger, bis er seine Gedanken geordnet hat und in Worte formulieren kann. Im Wettbewerb mit seinen Mitschülern verschafft ihm seine Langsamkeit einen großen Nachteil. V.a. bei Lehrern, die auf schnelle Antworten warten.


Alles, was logisch nachvollziehbar und erklärbar ist, kommt ... Weltverständnis und seinen Denkstrukturen entgegen. Textaufgaben fallen ihm deshalb schwer, weil sie Transferleistungen fordern.


Die Arbeit mit Texten ist auch im Deutschunterricht sehr schwierig für ihn. Er hat große Verständnisprobleme und neigt dazu, Texte völlig anders als üblich auszulegen und zu bewerten. Mit Fragen wie: "Was will uns der Autor damit sagen?" kann er wenig anfangen. Woher soll man auch schon wissen, was im Kopf eines Autors vorgegangen ist, als er den Text geschrieben hat? Hilfreich könnte es sein, wenn der Lehrer die Aufgabenstellung direkter formuliert. Bei der Frage nach der Intention des Autors könnten sie ... z.B. fragen, welche Botschaft er für sich dem Text entnehmen kann. Eine so gestellte Aufgabe kann er besser verstehen.


Textzusammenfassungen  und insbesondere Inhaltsangaben sind ebenfalls ein großes Problem für ... . Er greift meist nur ein einziges Detail auf, das für ihn aus irgendeinem Grund gerade wichtig erscheint und beschreibt dieses sehr knapp. Wichtig ist insbesondere bei ... genau mitzuteilen, wie umfangreich die Inhaltsangabe oder die jeweilige Aufgabe sein soll. ... hat hierfür keine Einschätzung.


Es hilft ihm, wenn er einen Text bekommt, in dem alle relevanten Stellen unterstrichen oder farblich hervorgehoben sind. Die Aufgabenstellung könnte dann lauten: "Schau dir die unterstrichenen / hervorgehobenen Sätze besonders gut an. Die geben das Wichtigste im Text wieder. Wenn du das dann in eigenen Wörtern ausdrückst, hast du eine Inhaltsangabe."